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Revitalisierung der ehemaligen Fahrzeuglampenfabrik RIEMANN in Chemnitz

Der Sonnenberg: Seit 1402 ein Chemnitzer Stadtteil – mit wechselvoller Geschichte. Ab den 1860er Jahren entsteht im Zuge der Industrialisierung die noch heute prägende Mietshäuser-Bebauung entlang der schachbrettartigen Straßenverläufe. 1866 gründet der gelernte Lackierer August Hermann Riemann (… 1913) in dem Quartier eine kleine Werkstatt für Metallkurzwaren. 1888 beginnt er mit der Herstellung von Karbid-, Öl- und Petroleumlampen – zunächst für Fahrräder, später ab 1902 für Kraftfahrzeuge. Seine Produkte wie „Germania“ oder „Detektiv“ sind so erfolgreich am Markt, dass der Platz bald nicht mehr reicht. 1894 entscheidet sich Riemann, auf dem höchsten Punkt des Sonnenberges eine Fabrik zu bauen: Zunächst ein kleines zweistöckiges Gebäude mit Heizhaus, das dann in den folgenden Jahrzehnten durch kontinuierliche Erweiterung zu dem imposanten Ensemble heranwächst, welches sich noch heute erahnen lässt – einschließlich des weithin sichtbaren „Riemann-Turms“. Maßgeblicher Architekt ist Wenzel Bürger (1869 – 1946), u. a. Erbauer der Chemnitzer Synagoge.

Riemanns Erzeugnisse erhalten bedeutende internationale Auszeichnungen (Grands Prix Brüssel 1910 und Turin 1911), und das Unternehmen entwickelt sich zum Marktführer mit Weltruf. Führende Automobilhersteller wie Maybach und Horch zählen zu den Kunden. Der Besuch des sächsischen Königs Friedrich August III. (1865 – 1932) im Jahre 1905 unterstreicht die wirtschaftliche Exzellenz. 1914 übernimmt der jüngste Gründersohn Paul Riemann die Leitung des Unternehmens mit zu dem Zeitpunkt bereits über 1.000 Beschäftigten. Er schafft es, die Weltwirtschaftskrise unbeschadet zu überwinden und den Betrieb weiter auszubauen. Im II. Weltkrieg erreicht das Werk als wichtiger Zulieferer der deutschen Wehrmacht seine höchste Produktionsleistung. Die Klassifizierung „Kriegsverdiener“ führt 1945 allerdings zur Verstaatlichung als „VEB Fahrzeugelektrik Karl-Marx-Stadt“ mit später sechs Fertigungsstätten in der Region. Bis zu 1.500 Mitarbeiter stellen vor allem Scheinwerfer, Lichtmaschinen und Zündanlagen für Kraftfahrzeuge her. Nach der Wiedervereinigung existiert kurzzeitig die „Fahrzeug-Elektrik-Elektronik GmbH“ – nach deren Liquidation 1992 verfällt die ca. 50.000 m² große Industrieanlage zur Ruine und droht, komplett abgerissen zu werden, obwohl sie unter Denkmalschutz steht.

Verschiedene z. T. fragwürdige Nachnutzungsvorhaben scheitern. Erst der Erwerb durch die Hansa Real Estate Beteiligungs AG aus Leipzig 2016 eröffnet eine Perspektive, die gestalterisch an die bedeutsame Vorgeschichte anknüpft. Die imposante Gebäudefront an der Ecke Fürstenstraße/Hofer Straßen und der Turm bleiben erhalten, dahinter werden hochwertige Lofts entstehen. Um den Einsturz der Fassaden zu verhindern, beauftragt der Bauherr die Chemnitzer Spezialfirma Gebäudesicherung Eckert GmbH mit der Ausführung von Stabilisierungsmaßnahmen. Die dafür erforderlichen Stahlkonstruktionen werden durch steelconcept 2017 gefertigt und geliefert. Damit ist die notwendige Zeit zur Vermarktung der Wohnungen als Voraussetzung für den Baubeginn gewonnen. Die ehemalige „Humboldthöhe“ bekommt eine Chance, an ihre lange zurückliegende Glanzzeit wieder anzuknüpfen. Gleichzeitig entsteht so ein weiterer Impuls für den Imagewandel des Sonnenberg-Viertels: Weg vom sozialen Brennpunkt, Problembezirk und „Nazi-Kiez“ hin zu einem Quartier mit generationenübergreifender urbaner Lebensqualität. Das passt zur „Stadt der Moderne“.

Postskriptum: Ein weiterer bekannter Nachfahre der Fabrikantenfamilie Riemann ist der Psychoanalytiker Fritz Riemann (1902 – 1979), ein Enkel des Gründers. Er hat 1961 mit „Grundformen der Angst“ ein Standardwerk der Tiefenpsychologie verfasst, das unveränderte Aktualität besitzt und seit 2017 in der 42. Auflage vorliegt.

Vorschaufoto: https://www.hre.de/