Am 03. Juli 2017 wurde die Biehler Sportswear GmbH & Co. KG, Limbach-Oberfrohna, durch den Marketing-Club Chemnitz mit dem „Chemnitzer Meilenstein 2017“ auszeichnet. Traditionell übergibt bei der Gelegenheit der Vorjahresgewinner dem neuen Preisträger, hier Inhaberin Dipl.-Ing. oec. Steffi Barth und ihrem Sohn Sascha Winkler, einen „Staffelstab“, welcher auf originelle Weise beide Unternehmen miteinander in Verbindung bringen soll. Für die steelconcept GmbH übernahm das Geschäftsführer Dr. L. Sebastian Meyer-Stork mit folgenden Worten:
Chemnitzer Meilenstein 2017
Sehr geehrte Frau Barth,
sehr geehrter Herr Winkler,
verehrte Gäste,
meine Damen und Herren,
als Vorjahrespreisträger hat steelconcept nun die ehrenvolle Aufgabe, den sogenannten Staffelstab zu übergeben. Dieser Verpflichtung will ich gerne nachkommen – was sich im konkreten Fall allerdings durchaus als Herausforderung darstellt, soll doch dieser Staffelstab einen innneren Zusammenhang zwischen beiden Firmen liefern.
„Staffelstabübergabe“ ist eine Metapher aus dem Sport. Um das Bild zu übertragen, will ich es hier mit drei Formulierungen umschreiben: Verbindung herstellen, einen gedanklichen Bogen spannen, für Kontinuität sorgen.
Nun haben wir es heute mit zwei Branchen zu tun, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Vom Werkstoff her gesehen geht es ja um Textil und Stahl. Wie lässt sich da eine Verbindung schaffen, meine Damen und Herren?
Allein bei äußerlicher Betrachtung der Materialeigenschaften treffen Welten aufeinander. Typische Textil-Merkmale, v. a. wenn es um Funktionsbekleidung geht, sind z. B.: Bunt, weich, anschmiegsam, leicht. Dem Stahl hingegen würde man eher Attribute zuordnen wie: Grau, hart, fest, schwer. Also, Kongruenz geht ja irgendwie anders!
Doch vielleicht hilft es weiter, einmal zu schauen, welche Techniken beide Branchen selbst anwenden, um Verbindungen herzustellen: Bei den Textilern ist es üblicherweise das Nähen, im Stahlbereich das Schweißen. Nun könnte man zum Zwecke der Kompatibiliät auf die Idee kommen, Stahl zu nähen und Textil zu schweißen. Meine Damen und Herren, das hört sich für mich ziemlich disruptiv an, und „disruptiv“ ist bekanntlich derzeit ein Medien-Hype im Marketing. Gleichwohl glaube ich persönlich nicht, dass wir auf diesem Wege zu einer konstruktiven Verknüpfung zwischen Stahl und Textil kommen können.
Wenn wir noch kurz bei den Verbindungstechniken bleiben, dann gäbe es da eventuell eine weitere Möglichkeit, nämlich das Nieten – funktioniert ja bekanntermaßen bei Textil genauso wie beim Stahl. Doch, meine Damen und Herren, allen Ernstes: Eine Niete als verbindendes Element? Wir sind hier unter Marketing-Fachleuten! „Das geht gar nicht.“, würde die Bundeskanzlerin sagen.
Wir sehen also: Der Fall wird schwierig. Auf der Suche nach einer Lösung hilft es manchmal, das Problem in einen größeren Kontext zu stellen. Ich will deshalb die beiden Suchbegriffen „Textil“ und „Stahl“ um folgende Stichworte erweitern: „Chemnitz“, „Innovationskraft“ und „Kreativität“. Ich vermute, wir werden gerade in Bezug auf den Chemnitzer Meilenstein darin übereinstimmen, dass diese Kriterien eine sinnvolle und naheliegende Einheit bilden.
Und dann, meine Damen und Herren, liegt auch die Lösung in der Tat nahe: Ein ganz großer Sohn dieser Stadt, der Architekt Professor Frei Otto, schuf durch die geniale Verbindung von Textil und Stahl die Grundlagen für den membranbasierten Leichtbau. Er gehört weltweit zu den bedeutends-ten Baumeistern des 20. Jahrhunderts, und dieser Glanz fällt immer auch auf seine Vaterstadt zurück.
Für diejenigen unter uns, denen seine Biographie nicht so vertraut ist, will ich ein paar kurze Anstriche benennen:
- Geboren wurde Frei Otto 1925 in Chemnitz-Siegmar.
- 1943 begann er das Architekturstudium an der Technischen Hochschule Berlin.
- Dann Unterbrechung: Einzug zum Kriegsdienst, Kampfpilot, französische Gefangenschaft. Schon im Kriegsgefangenenlager Chartres erste Beschäftigung mit zeltförmigen Leichtbauten.
- 1948 konnte Frei Otto dann weiter studieren und erhielt durch ein USA-Stipendium wichtige Anregungen bezüglich geschwungener, seitlich abgespannter Seilnetze als Dächer.
- Dadurch inspiriert verfasste er 1954 seine Doktorarbeit unter dem Titel „Das hängende Dach“ – die erste umfassende Darstellung zugbeanspruchter Flächentragwerke.
- Ab 1952 war er als Architekt, Wissenschaftler und Hochschullehrer über Jahrzehnte bis zu seinem Lebensende weltweit unermüdlich tätig. Sein wahrscheinlich bekanntestes Werk ist die Überdachung des Münchner Olympiageländes 1972. Dies erhielt 2002 den Titel „bestes deutsches Gebäude aller Zeiten“.
- Frei Otto starb hochbetagt im vorletzten Jahr. Zahlreiche Auszeichnungen würdigen sein Werk. Posthum erhielt er 2015 den Pritzker-Architekturpreis – das ist praktisch der „Nobelpreis der Architektur“.
Frei Otto war Praktiker und Gründer, vor allem aber Visionär und Ideengeber. Bescheiden und selbstironisch urteilte er einmal über sein Werk: „Ich habe viele Luftschlösser ersonnen“. Ich sage dazu: „Manchmal sind es eben die Luftschlösser, die die Welt entscheidend weiterbringen!“.
Meine Damen und Herren, als Staffelstab möchten wir heute ein Buch übergeben: Das Gesamtwerk Frei Ottos unter dem Titel „Leicht Bauen – Natürlich gestalten“. Vor allem zahlreiche Bilder, Skizzen, Modellen und Fotos machen die einzigartigen Ideen dieses Designpioniers nachvollziehbar, ohne dass man selber Experte sein muss. Die Orientierung am Vorbild der Natur, der Weg vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen und der Grundsatz „Weniger ist mehr“ – diese seine Prinzipien haben heute größere Bedeutung denn je!
Sehr geehrte Frau Barth, sehr geehrter Herr Winkler, wir gratulieren Ihnen herzlich zum Chemnitzer Meilenstein 2017. Er ist eine würdige Anerkennung Ihrer unternehmerischen Leistungen und sicherlich auch Ansporn, gemeinsam mit der Mannschaft den erfolgreichen Weg fortzusetzen.
Das Vermächtnis Frei Ottos besteht in der Erkenntnis, dass gerade an den Grenzflächen der unterschiedlichen Disziplinen die größten Innovationspotenziale zu entdecken sind. In diesem Sinne sei unser Staffelstab für Sie Gratulation und Inspiration zugleich. Nochmals: Herzlichen Glückwunsch!
Meine Damen und Herren, ich muss zum Schluss noch einmal auf die Niete zurückkommen. Sie alle kennen den Spruch „Management by Jeans: An den wichtigsten Stellen sitzen die größten Nieten“. Doch Vorsicht! Was wäre denn das Schicksal der Jeans ohne die Nieten? Natürlich, sie würde aus allen Nähten platzen. Wir brauchen also Nieten – nicht nur in der Mode, sondern auch an anderen wichtigen Stellen dieser Stadt wie zum Beispiel dem Viadukt Beckerbrücke! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.